|
|
|
|
|
|
BUNDESFINANZHOF V. 13.07.1989 IV R 55/88 |
|
|
Leitsatz Betriebsstätte i.S. von § 4 Abs.5 Nr.6 EStG kann abweichend von § 12 Abs.1 AO 1977 auch die Beschäftigungsstätte eines Steuerpflichtigen mit Einkünften aus selbständiger Arbeit sein.
Tatbestand Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) werden als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger ist hauptberuflich als Lehrer beschäftigt. Als Fußballtrainer hat er außerdem im Jahre 1982 nebenberuflich zwei auswärtige Fußballmannschaften betreut. Er erzielte hieraus Einkünfte aus selbständiger Arbeit. Für die Fahrten zum Trainingsort und zu Heimspielen benutzte er seinen PKW. In der Einkommensteuererklärung berechnete der Kläger die Fahrten als Dienstfahrten und setzte als Betriebsausgaben 0,36 DM bzw. 0,42 DM je gefahrenen Kilometer an. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) ließ jedoch nur 0,36 DM je Entfernungskilometer zum Abzug zu, weil der Kläger auf dem Vereinsgelände seine Betriebsstätte gehabt habe (§ 4 Abs.5 Nr.6 des Einkommensteuergesetzes --EStG--).
Die gegen den Einkommensteuerbescheid 1982 gerichtete Anfechtungsklage blieb erfolglos.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Finanzgericht (FG) zugelassene Revision der Kläger, mit der sie Verletzung materiellen Rechts rügen.
Entscheidungsgründe 1. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG ist davon auszugehen, daß der Kläger als nebenberuflicher Sporttrainer Einkünfte aus selbständiger Arbeit i.S. von § 18 Abs.1 Nr.1 EStG bezogen hat. Da er diese Einkünfte durch Überschußrechnung nach § 4 Abs.3 EStG ermittelte, mußte er seinen Einnahmen die durch seine Tätigkeit verursachten Aufwendungen als Betriebsausgaben gegenüberstellen (§ 4 Abs.4 EStG). Zu diesen Betriebsausgaben gehörten auch die Fahrtkosten, die der Kläger auf sich genommen hat, um die Trainingsstätten der ihn beschäftigenden Vereine zu erreichen. Diese Aufwendungen sind jedoch nur in beschränktem Umfang abziehbar.
Nach § 4 Abs.5 Nr.6 EStG dürfen nämlich Aufwendungen des Steuerpflichtigen für Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte den Gewinn nicht mindern, soweit sie die Beträge übersteigen, die sich in entsprechender Anwendung des § 9 Abs.1 Nr.4 EStG ergeben. Das bedeutet, daß bei Fahrten mit dem eigenen Kraftwagen die Aufwendungen für jeden Arbeitstag, an dem das Fahrzeug benutzt wird, nur in einer Höhe von 0,36 DM je Entfernungskilometer als Betriebsausgaben anerkannt werden. Diese Bestimmung ist auch im Falle des Klägers anzuwenden; in Übereinstimmung mit dem FG muß die Beschäftigungsstätte des Klägers auf dem Gelände und in den Baulichkeiten der ihn beschäftigenden Sportvereine als Betriebsstätte im Sinne dieser Vorschrift angesehen werden.
2. Der Revision ist einzuräumen, daß diese Gesetzesauslegung nicht der Definition der Betriebsstätte in § 12 Abs.1 der Abgabenordnung (AO 1977) entspricht. Danach müßte es sich um eine feste Geschäftseinrichtung oder -anlage handeln, die der Tätigkeit des Klägers als Unternehmer dient. Für Geschäftseinrichtungen und -anlagen, die dem Unternehmer nicht gehören, ist jedoch zu verlangen, daß er eine gewisse nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht über sie besitzt, damit sie als Bestandteil seines Unternehmens erscheinen (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 17.März 1982 I R 189/79, BFHE 136, 120, BStBl II 1982, 624; vom 28.August 1986 V R 20/79, BFHE 148, 194, BStBl II 1987, 162). Hiervon kann nach den Feststellungen des FG im Streitfall nicht gesprochen werden. § 4 Abs.5 Nr.6 EStG muß jedoch nach dem besonderen Zweck dieser Bestimmung ausgelegt werden; der hier verwendete Betriebsstättenbegriff hat deshalb einen anderen Inhalt.
Die Regelung geht auf das Steueränderungsgesetz (StÄndG) vom 23.Dezember 1966 (BGBl I 1966, 702, BStBl I 1967, 2) zurück, das die für den Werbungskostenabzug bei Arbeitnehmern maßgebende Kilometerpauschale auch auf den Bereich der Gewinneinkünfte erstreckte. Aufwendungen von Gewerbetreibenden und Freiberuflern für Fahrten zwischen Wohnung und Betrieb werden seither in gleichem Umfang wie entsprechende Aufwendungen von Arbeitnehmern berücksichtigt. Diese Gleichstellung wird vom Bundesverfassungsgericht --BVerfG-- (Beschluß vom 2.Oktober 1969 1 BvL 12/68, BVerfGE 27, 58, BStBl II 1970, 140) im Hinblick auf den Gleichheitssatz des Art.3 Abs.1 des Grundgesetzes (GG) als geboten angesehen. Dieser Regelungszweck kommt auch im Hinweis auf § 9 Abs.1 Nr.4 EStG zum Ausdruck. Er ist bei der Auslegung des § 4 Abs.5 Nr.6 EStG durchweg zu berücksichtigen (BFH-Urteil vom 31.Mai 1978 I R 69/76, BFHE 125, 381, BStBl II 1978, 564).
Verfügt ein im Wege eines Dienstvertrags beschäftigter Unternehmer nicht über eine eigene Betriebsstätte, muß daher der Ort, an dem er die geschuldete Leistung zu erbringen hat, in aller Regel also der Betrieb des Auftraggebers, als Betriebsstätte des Unternehmers angesehen werden. Der Kläger kann im Streitfall steuerlich nicht anders behandelt werden, als wäre er seitens der Sportvereine mittels eines Arbeitsvertrages beschäftigt worden; er könnte alsdann Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nach § 9 Abs.1 Nr.4 EStG nur in Höhe der Kilometerpauschale geltend machen. Der Kläger verfügte auch nicht über eine eigene Betriebsstätte in seiner Wohnung, die seine Fahrten zu den Trainingsorten als Geschäftsreisen erscheinen ließen. Selbst wenn er seine Tätigkeit entsprechend dem Revisionsvortrag daheim plante und vorbereitete und dort auch den erforderlichen Schriftwechsel erledigte, besaß er deswegen dort noch keine Betriebsstätte; im Rahmen des § 4 Abs.5 Nr.6 EStG muß verlangt werden, daß es sich um eine von der Wohnung getrennte Betriebsstätte handelt (BFH-Urteil vom 15.Juli 1986 VIII R 134/83, BFHE 147, 169, BStBl II 1986, 744).
3. Entgegen der Revisionsauffassung ist der Rechtsprechung eine modifizierte Anwendung des sonst in § 12 Abs.1 AO 1977 definierten Betriebsstättenbegriffs im Rahmen von § 4 Abs.5 Nr.6 EStG nicht verwehrt. Zwar wird in der Regierungsbegründung zur AO 1977 die Auffassung geäußert, daß die Definition der Betriebsstätte allen in Betracht kommenden Steuern Rechnung trage und daß ergänzende Vorschriften in den betreffenden Einzelsteuergesetzen geregelt werden müßten (BTDrucks VI/1982 S.103). Sofern hiermit eine ausdrückliche Regelung in den Einzelsteuergesetzen verlangt sein sollte, wäre dies jedoch nicht maßgebend. Für die Auslegung des § 12 AO 1977 ist wie für die Auslegung anderer Gesetzesvorschriften sein objektiver Inhalt ausschlaggebend; Äußerungen in den Gesetzesmaterialien können daneben grundsätzlich nur unterstützend herangezogen werden, wenn sie im Gesetz einen hinreichend bestimmten Ausdruck gefunden haben (BVerfG-Beschluß vom 17.Mai 1960 2 BvL 11/59, 11/60, BVerfGE 11, 126, 130; BVerfG-Beschlüsse vom 11.Juni 1980 1 PBvU 1/79, BVerfGE 54, 277, 297; vom 16.Februar 1983 2 BvE 1-4/83, BVerfGE 62, 1, 45; BFH-Urteil vom 5.Mai 1982 VII R 96/78, BFHE 136, 319; vgl. auch BFH-Urteil vom 5.Juni 1986 IV R 338/84, BFHE 146, 452, BStBl II 1986, 661).
Der Wortlaut des § 12 AO 1977 ergibt nicht, daß von ihm nur aufgrund einer ausdrücklichen Regelung in einem Einzelsteuergesetz abgewichen werden dürfe. Eine derartige Einengung würde gegen die allgemeinen Auslegungsregeln verstoßen, die vor allem eine Orientierung am Zweck der jeweiligen gesetzlichen Regelung verlangen (BVerfGE 11, 126, 130); hierbei kann sich ergeben, daß gleichlautende Begriffe in unterschiedlichem gesetzlichem Zusammenhang auch eine unterschiedliche Bedeutung haben. Das gilt auch für die Deutung des Betriebsstättenbegriffs in § 4 Abs.5 Nr.6 EStG. Von diesem Rechtsverständnis ist der Senat bereits in seiner Entscheidung vom 5.November 1987 IV R 180/85 (BFHE 151, 413, BStBl II 1988, 334) ausgegangen, als er einem Arztvertreter, der in den Räumen der Praxis ebenfalls keine Betriebsstätte i.S. des § 12 AO 1977 hatte, lediglich die Kilometerpauschale des § 4 Abs.5 Nr.6 EStG gewährte. In gleicher Weise hat der VIII.Senat des BFH die Vorschrift auch im Falle des geschäftsführenden Gesellschafters einer OHG angewendet, obwohl dieser in den Geschäftsräumen der Gesellschaft nicht über eine eigene Betriebsstätte i.S. von § 12 AO 1977 verfügte (vgl. BFH-Urteil vom 4.November 1986 VIII R 1/84, BFHE 148, 446, BStBl II 1987, 259). Soweit das BFH-Urteil vom 7.Dezember 1988 X R 15/87 (BFHE 155, 353, BStBl II 1989, 421) beiläufig eine andere Auffassung vertritt, sind diese Ausführungen für das Urteil nicht tragend; einer Anrufung des Großen Senats bedarf es daher nicht.
4. § 3 Nr.26 EStG führt nicht zu einem für den Kläger günstigeren Ergebnis. Wie der Senat in seinem Urteil vom 30.Januar 1986 IV R 247/84 (BFHE 146, 65, BStBl II 1986, 401) dargelegt hat, können Aufwendungen des Steuerpflichtigen nur berücksichtigt werden, soweit sie den Einnahmenfreibetrag von 2 400 DM überschreiten; hinsichtlich der Höhe der Aufwendungen sind die Abzugsbeschränkungen zu berücksichtigen, die das EStG vorsieht.
< zurück
|
|
(1113-1-4213)
|
|