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BUNDESFINANZHOF V. 07.03.1975 VI R 248/71
 

(Rubrum und Tenor > Symbol rechts anklicken)

Leitsatz

1. Ständig pflegebedürftige Körperbehinderte (§ 65 Abs. 1 Satz 4 EStDV 1965) können den Pauschbetrag von 4 800 DM nur erhalten, soweit die Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht überwiegend auf Alterserscheinungen beruht.

2. Kosten wegen ständiger Pflegebedürftigkeit begründen auch bei älteren Menschen eine außergewöhnliche Belastung i. S. von § 33 EStG.




 
 

Tatbestand
Die Erblasserin, deren Erbinnen (Klägerinnen und Revisionsklägerinnen - Klägerinnen -) den von ihr begonnenen Prozeß vor dem FG fortgesetzt haben, war im Streitjahr 1966 91 Jahre alt. Ihre Erwerbsfähigkeit war um 100 v. H. gemindert. Außerdem war sie dauernd so hilflos, daß sie ständiger Wartung und Pflege bedurfte. Hierüber liegt eine amtsärztliche Bescheinigung vor, aus der hervorgeht, daß die Erwerbsminderung überwiegend auf Alterserscheinungen beruhte. Bei der Einkommensteuerveranlagung für 1966 versagte der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) den beantragten Pauschbetrag für dauernd Pflegebedürftige in Höhe von 4 800 DM.

Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage blieb ebenfalls ohne Erfolg. Das FG führte in seiner in EFG 1972, 123, veröffentlichten Entscheidung u. a. aus: Die Aussonderung der altersbedingten Erwerbsminderung in § 65 EStDV entspreche dem Sinn des § 33 a Abs. 6 EStG. Danach könne eine außergewöhnliche Belastung nur angenommen werden, wenn sie der überwiegenden Mehrzahl aller Steuerpflichtigen nicht auferlegt sei. Dies sei bei Erwerbsminderungen nur dann der Fall, wenn sie auf Vorgängen beruhten, die nicht dem natürlichen Lauf des Lebens entsprächen. Altersbedingte Erwerbsminderungen entsprächen indessen dem natürlichen Lebensverlauf. Diese Auslegung entspreche der Rechtsprechung des BFH (Urteile vom 30. November 1966 VI R 108/66, BFHE 88, 491, BStBl III 1967, 459; vom 30. November 1966 VI 313/64, BFHE 88, 407, BStBl III 1967, 457, und vom 10. Mai 1968 VI R 291/67, BFHE 92, 553, BStBl II 1968, 647).

Mit der Revision tragen die Klägerinnen u. a. vor, die Erblasserin habe erhebliche Aufwendungen für Wartung und Pflege gehabt. In erster Linie sind sie jedoch weiterhin der Auffassung, daß der Pauschbetrag von 4 800 DM gewährt werden müsse. § 65 EStDV unterscheide zwei Hauptgruppen von Körperbehinderten, nämlich solche, bei denen sich die Höhe des Pauschbetrages nach der Minderung der Erwerbsfähigkeit richte, und solchen, bei denen es nicht auf die Minderung der Erwerbsfähigkeit ankomme. Nur in der ersten Gruppe dürfe es sich bei der Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht um überwiegende Alterserscheinungen handeln. Die zweite Gruppe der Blinden und Pflegebedürftigen erhalte a n s t e l l e der (gestaffelten) Pauschbeträge einen Pauschbetrag von 4 800 DM. Die gestaffelten Pauschbeträge würden also ausgeschlossen, und da diese sich nach der Minderung der Erwerbsfähigkeit richteten, sei der Grund für die Minderung der Erwerbsfähigkeit selbst logischerweise auch ausgeschlossen. Zu demselben Ergebnis gelange man bei einer am Gesetzeszweck orientierten Auslegung. In ständiger Rechtsprechung sei festgestellt, daß § 65 EStDV der Vereinfachung diene. Es sei sicherlich eine Vereinfachung, wenn den Personen, die ohne fremde Wartung und Pflege nicht mehr leben könnten, der Nachweis der außergewöhnlichen Belastungen erlassen werde. Der Ausschluß von Alterserscheinungen würde zudem gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 GG) verstoßen. Die steuerliche Leistungsfähigkeit eines 80jährigen, der wegen Lähmung der unteren Gliedmaßen nach einem Autounfall das Bett nicht mehr verlassen könne, und einem 80jährigen, dem es wegen eines Altersherzens genauso gehe, sei gleich beeinträchtigt. In der mündlichen Verhandlung sei das FG der Meinung gewesen, daß Blinde den Pauschbetrag in jedem Falle erhalten könnten. In der Tatsache, daß das FG in seinem Urteil auf das Vorbringen der Klägerinnen in dieser Hinsicht nicht eingegangen sei, liege ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs.


Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet und führt zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

Ein Pauschbetrag für Körperbehinderte stand der Erblasserin allerdings nicht zu. Der Senat teilt nicht die Auffassung der Klägerinnen, daß der Pauschbetrag von 4 800 DM für Körperbehinderte, die infolge der Körperbehinderung ständig so hilflos sind, daß sie nicht ohne fremde Wartung und Pflege bestehen können, auch dann zu gewähren ist, wenn die Körperbehinderung überwiegend auf Alterserscheinungen beruht. Die Vorschrift des § 65 Abs. 1 letzter Satz EStDV knüpft durch die Regelung, daß die dort bezeichneten Körperbehinderten den Pauschbetrag "anstelle der in der Übersicht aufgeführten Pauschbeträge" erhalten, ersichtlich an die für die anderen Pauschbeträge bestehende Regelung an. Sie ersetzt nicht etwa, wie die Klägerinnen annehmen, diese Regelung als solche, sondern beschränkt sich darauf, innerhalb dieser Regelung einen erhöhten Pauschbetrag vorzuschreiben. Die Klägerinnen übersehen, daß der letzte Satz in § 65 Abs. 1 EStDV nur den davor stehenden dritten Satz, der die gestaffelten Pauschbeträge aufführt, ersetzt und nicht etwa die in den Sätzen eins und zwei enthaltenen grundsätzlichen Regelungen. Denn im letzten Satz wird ausdrücklich vorgeschrieben, daß der erhöhte Pauschbetrag "anstelle der in der Übersicht aufgeführten Pauschbeträge" gewährt werde; die Übersicht befindet sich aber in Satz drei und nicht in Satz zwei, der überwiegende Alterserscheinungen als Grund für die Körperbehinderung ausschließt. Der Wortsinn spricht also entgegen der Auffassung der Klägerinnen dafür, daß auch bei ständig pflegebedürftigen Körperbehinderten die allgemeinen Voraussetzungen für die Gewährung von Pauschbeträgen vorliegen müssen. Zu diesen Voraussetzungen gehört aber, daß die Körperbehinderung, die zu der Minderung der Erwerbsfähigkeit oder im Falle des letzten Satzes zu der ständigen Hilflosigkeit geführt hat, nicht überwiegend auf Alterserscheinungen beruht. In diesem Sinne hat der Senat sich auch bereits in der Grundsatzentscheidung VI 313/64. geäußert

Die Regelung des § 65 EStDV wird, soweit sie hier streitig ist, von der Ermächtigung in § 33 a Abs. 6 EStG gedeckt. Da der Erblasserin keine Rente oder andere laufende Bezüge nach gesetzlichen Vorschriften zustanden, greift lediglich die Ermächtigung nach § 33 a Abs. 6 Satz 3 EStG ein, die die Festsetzung von Pauschbeträgen durch Rechtsverordnung unter bestimmten Voraussetzungen in das Ermessen des Verordnungsgebers stellt. Die Regelung, nach der Alterserscheinungen unberücksichtigt bleiben, verletzt auch nicht den Gleichbehandlungsgrundsatz. Denn zwischen typischerweise auftretenden Alterserscheinungen und den Folgen von Ausnahmsweise eintretenden Unfällen und Krankheiten besteht ein Unterschied, der zumindest unterschiedliche Pauschbetragsregelungen rechtfertigt. Dabei ist zu bedenken, daß die wegen Alterserscheinungen anfallenden Aufwendungen bei ständiger Pflegebedürftigkeit entgegen der Annahme des FA als allgemeine außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG berücksichtigungsfähig sind. Denn ständige Pflegebedürftigkeit ist keine für alle älteren Menschen typische Erscheinung, sondern die Ausnahme und damit außergewöhnlich im Sinne dieser Vorschrift. Das Erfordernis, in diesen Fällen die Aufwendungen nachzuweisen oder glaubhaft zu machen, entspricht einer allgemeinen Verpflichtung aller Steuerpflichtigen (§ 171 Abs. 1 AO) und kann einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz auch bei älteren Menschen nicht begründen. Es mag sein, daß die Ermächtigung in § 33 a Abs. 6 Satz 3 EStG auch eine Berücksichtigung von Alterserscheinungen zugelassen hätte und daß dies möglicherweise der Vereinfachung gedient hätte oder als Regelung auch unter anderen Gesichtspunkten besser und gerechter gewesen wäre. Dies sind indessen Fragen, über die der Verordnungsgeber zu befinden hatte. Der Senat konnte lediglich prüfen, ob die tatsächlich getroffene Regelung von der Ermächtigung gedeckt und ob sie mit dem Grundgesetz vereinbar war, was wie dargelegt zu bejahen ist. Es kann dahingestellt bleiben, wie im Falle einer Altersblindheit zu entscheiden wäre, da dies nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist. Aus diesem Grunde kann auch kein Verfahrensmangel darin gesehen werden, daß das FG auf die hierzu zwischen den Beteiligten geführten Erörterungen in seinem Urteil nicht eingegangen ist.

Das FG hätte jedoch prüfen müssen, ob und inwieweit die mit der Klage erstrebte Herabsetzung der Einkommensteuer etwa aufgrund der tatsächlichen Pflegeaufwendungen nach § 33 EStG begründet war. Nachdem der Amtsarzt bescheinigt hatte, daß die Erblasserin ständiger Wartung und Pflege bedurfte, entsprach es der Lebenserfahrung, daß dadurch Aufwendungen anfallen mußten. Das FG hat seine Verpflichtung, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO), verletzt, da es unterließ, auf eine Ergänzung der tatsächlichen Angaben in Richtung auf eine Substantiierung der Aufwendungen hinzuwirken (§ 76 Abs. 2 FGO). Dieser ergänzende Sachvortrag wäre, wie dargelegt, auch entscheidungserheblich gewesen, weil die Aufwendungen für die Pflege im Rahmen des § 33 EStG hätten berücksichtigt werden müssen.

Die Vorentscheidung war hiernach aufzuheben. Da die Sache noch nicht entscheidungsreif ist, war sie an das FG zurückzuverweisen.


Anm.: Nach der obigen Entscheidung des Bundesfinanzhofs hat das beklagte Finanzamt die Pflegeaufwendungen berücksichtigt und den angefochtenen Bescheid betragsmäßig im beantragten Umfang geändert, wodurch sich das Verfahren in der Hauptsache erledigte. Die Kosten des gesamten Verfahrens hatte das Finanzamt zu tragen.


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(1113-3-3784)